Der erste Coronalockdown im Frühjahr 2020 hat auch das Projekt Roadkill beeinflusst, wie unsere gerade erschienene Publikation im Journal PeerJ zeigt. Vor allem Roadkills jener Tiere, die nach einer Winterruhe wieder aktiv wurden, wurden signifikant weniger gemeldet als in den Jahren davor. Doch liegt das daran, dass tatsächlich weniger Tiere überfahren wurden, oder an der verringerten Mobilität der Citizen Scientists im Projekt? Dazu haben wir eine Umfrage unter den österreichischen Citizen Scientists des Projektes gemacht und herausgefunden, dass eine Mehrheit der Befragten angab, gefühlt weniger Roadkills gemeldet zu haben, egal ob sich ihr Mobilitätsverhalten während des Lockdowns geändert hat oder nicht. Zusammen mit den Verkehrsdaten aus anderen Quellen deuten die Ergebnisse darauf hin, dass vielleicht tatsächlich weniger Tiere überfahren wurden. Ganz sicher ist jedoch, dass Citizen-Science-Projekte generell bei der Auswertung von Daten aus diesem Zeitraum sich darüber bewusst sein müssen, dass der Lockdown teils deutliche Auswirkungen auf ihre Daten gehabt haben könnte und dies bei der Interpretation berücksichtigt werden muss.
Die weltweite COVID-19-Pandemie beeinträchtigt die menschlichen Aktivitäten und das Leben der Menschen so stark wie nie zuvor in unserem Leben. Um den unnötigen Tod tausender Menschen aufgrund der übermäßigen Beanspruchung unserer Gesundheitssysteme zu vermeiden (Anderson et al., 2020), haben die meisten Regierungen auf der Welt strenge Maßnahmen ergriffen, um die Infektionsraten in der Bevölkerung zu senken (WHO, 2020). In Europa galten für viele Menschen im Frühling 2020 Ausgangssperren oder strenge Beschränkungen beim Verlassen des Hauses oder der Wohnung (Hale et al., 2020). Die Aktivitäten wurden auf notwendige Dienstleistungen wie den Transport und den Verkauf von Lebensmitteln oder Medikamenten reduziert (Hale et al., 2020). Österreich gehörte zu den ersten Ländern in Europa, die ab Mitte März 2020, genauer gesagt vom 16. März bis zum 14. April, strenge Ausgangsbeschränkungen für das Verlassen der eigenen Wohnung einführten (Hale et al., 2020). Während dieses Zeitraums durften in Österreich lebende Menschen nur aus fünf Gründen das Haus verlassen: (i) um zur Arbeit zu gehen, wenn man in einem systemrelevanten Beruf tätig ist (z. B. in Supermärkten oder Apotheken), (ii) um Lebensmittel oder Medikamente einzukaufen, (iii) um anderen Menschen zu helfen, die nicht für sich selbst sorgen können, (iv) um einen kurzen Spaziergang im Freien zu machen, wobei immer ein Mindestabstand von einem Meter zu anderen Menschen eingehalten werden musste, und (v) um im Falle eines lebensbedrohlichen Ereignisses (z. B. Feuer) in der Wohnung das eigene Leben zu retten (Republik Österreich, 2020). Dies bedeutete, dass viele Menschen von zu Hause aus arbeiteten, ihre Arbeitszeit verkürzten oder ihren Arbeitsplatz verloren, wodurch die Aktivitäten oder Reisen im Land auf ein Minimum reduziert wurden (Poledna et al., 2020).
Diese Verringerung der menschlichen Aktivitäten in Österreich, aber auch in mehreren anderen Ländern, hatte ökologische Auswirkungen, wie z. B. eine bessere Luftqualität aufgrund eines dramatischen Rückgangs der industriellen Aktivitäten und des Verkehrs (Zambrano-Monserrate, Ruano & Sanchez-Alcalde, 2020). Darüber hinaus wurden in den Medien und sozialen Netzwerken viele Berichte über die "Erholung der Natur" während der Ausgangsbeschränkungen auf der ganzen Welt geteilt, die Wildtiere in besiedelten Gebieten zeigen (Rutz et al., 2020; Bar, 2020). Allerdings stellte Helm (2020) fest, dass die Belege für die unmittelbaren Auswirkungen der COVID-19-Beschränkungen auf den Wildtier- und Umweltschutz, einschließlich der Auswirkungen des verringerten Straßenverkehrs auf die Zahl der überfahrenen Tiere, bisher weitgehend anekdotisch sind und eher auf den erwarteten Folgen als auf neuen Daten basieren.
Aufgrund der Beteiligung von Bürger*innen an der Datenerhebung war auch ein Einfluss der COVID-19-Ausgangsbeschränkungen auf die in Roadkillprojekten gemeldeten überfahrenen Tiere naheliegend:
Allen diesen Untersuchungen ist gemeinsam, dass sie sich auf Daten stützen, die auch während der Ausgangsbeschränkungen konsequent erhoben werden konnten (z. B. Polizeiberichte, professionelle Monitorings, Kadaverbeseitigung), nicht aber auf Citizen Science-Daten. In einer Studie wurden sogar Citizen Science-Daten aufgrund des potenziell hohen Einflusses der Ausgangsbeschränkungen aus den Analysen ausgeschlossen (Bíl et al., 2021). Es ist daher von entscheidender Bedeutung zu verstehen, welche Art von Auswirkungen Ausgangsbeschränkungen auch auf Citizen Science-Daten haben, um mögliche Verzerrungen oder Interpretationsfehler zu vermeiden.
In Österreich wird das Projekt Roadkill seit 2013 durchgeführt. Ziel des Projekts ist es, die Zahl der in Österreich überfahrenen Tiere zu minimieren. Dazu werden die Einflüsse des Verkehrs und der Landschaft rund um Straßen auf Wirbeltiere untersucht. Das Projekt befindet sich in der ersten Phase, in der es darum geht, mit Hilfe von Citizen Science einen Überblick über die Anzahl und Verteilung von Roadkills zu erhalten (Heigl et al., 2017; Bíl et al., 2020). Im Rahmen des Projektes melden Citizen Scientists verunglückte Tiere, die sie auf Straßen entdecken, über Apps für Android oder iOS oder über die Website des Projekts (www.roadkill.at/en).
Die Teilnehmer*innen berichten hauptsächlich aus Vororten und von höherrangigen Straßen (Heigl et al., 2016). Der Citizen Science-Ansatz hat sich deshalb als gut geeignet erwiesen, um Roadkills zu untersuchen (Shilling, Perkins & Collinson, 2015; Heigl et al., 2017; Chyn et al., 2019; Yue, Bonebrake & Gibson, 2019; Bíl et al., 2020; Englefield et al., 2020), da die Bürger*innen täglich weite Strecken auf Straßen zurücklegen (z. B. beim Fahrradfahren als Hobby oder beim Pendeln zur Arbeit). Daher konnten wir während der COVID-19-Ausgangsbeschränkungen im Frühling sofort einen Rückgang der Roadkillmeldungen im Vergleich zu den Vorjahren feststellen (Abb. 1).
Abb 1: Vergleich der durchschnittlichen Zahl der Roadkills von 2016 bis 2019 (schwarze gestrichelte Linie) mit der Zahl der gemeldeten Roadkills von 2020 (rote Linie). Strenge Lockdown-Maßnahmen waren in den Kalenderwochen 12 bis 15 wirksam (gekennzeichnet durch den rot hervorgehobenen Bereich), mit allmählicher Entspannung in den folgenden Wochen. Die Fehlerbalken sind für die Jahre 2016-2019 angegeben. (A) Gesamtzahl der gemeldeten Roadkills. (B) Anzahl der gemeldeten Roadkills von Säugetieren.(C) Anzahl der gemeldeten Roadkills von Amphibien. (D) Anzahl der gemeldeten Roadkills von Igeln (Erinacaeus sp.). (E) Anzahl der gemeldeten Roadkills von Erdkröten (Bufo bufo).
In den Vorjahren stieg die Zahl der gemeldeten Roadkills bei vielen Arten im Frühjahr an, was auf die Wanderung dieser Tiere zu ihren Laichplätzen (z. B. Erdkröte) oder wegen der Nahrungssuche (z. B. Igel) nach dem Winterschlaf zurückzuführen war. Der allgemeine Anstieg der Zahl der Meldungen von überfahrenen Tieren war im Frühjahr 2020 weniger ausgeprägt als in den Frühjahrssaisons der Vorjahre. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir jedoch nicht, ob dieser Rückgang darauf zurückzuführen war, dass aufgrund des geringeren Verkehrsaufkommens weniger Tiere auf den Straßen getötet wurden. Eine andere Erklärung könnte sein, dass die Projektteilnehmer*innen weniger auf den Straßen unterwegs waren und daher nicht mehr die gleiche Anzahl von Roadkills melden konnten wie zuvor, obwohl die Anzahl der Roadkills selbst unverändert geblieben war. Die Herausforderung die soziologischen Faktoren herauszuarbeiten, welche die in ökologischen Citizen Science-Projekten gesammelten Daten beeinflussen, ist allgemein bekannt und wurde bereits mehrfach untersucht. So wissen wir zum Beispiel, dass es bei einigen Projekten zu Datenverzerrungen am Wochenende kommt (Courter et al., 2013; Cooper, 2014), weil Citizen Scientists am Wochenende mehr Zeit für das Sammeln von Daten haben, oder dass Daten häufiger in der Nähe von Siedlungen oder Straßen gemeldet werden (Johnston et al., 2020), weil viele Menschen in diesen Gebieten unterwegs sind. Die durch die Ausgangsbeschränkungen hervorgerufenen Verhaltensänderungen sind jedoch einzigartig und müssen im Detail untersucht werden, um zu verstehen, wie sich diese Änderungen auf die in Citizen Science-Projekten erhobenen ökologischen Daten auswirken.
Ziel unserer Studie war es daher, zu untersuchen, wie sich die strikte Beschränkung des Verlassens der eigenen Wohnung in Österreich während der ersten COVID-19-Sperre im Frühjahr 2020 auf die Datenerhebung im Projekt Roadkill auswirkt. Wir testeten die Hypothese, dass der Rückgang der Roadkill-Meldungen auf ein verändertes Mobilitätsverhalten unserer TeilnehmerInnen zurückzuführen ist, indem wir eine Umfrage unter österreichischen ProjektteilnehmerInnen durchführten. Die Ergebnisse dieser Untersuchung werden Auswirkungen auf weitere Analysen der während der Sperre gesammelten Daten haben, nicht nur im Project Roadkill, sondern in allen Citizen Science-Projekten, die sich auf eine opportunistische ökologische Datenerhebung stützen.
Insgesamt haben 77 Personen an der Umfrage teilgenommen. Fast zwei Drittel (64 %) gaben an, dass sie gefühlt weniger Roadkills gemeldet haben als vor den Ausgangsbeschränkungen, 32 % gaben an, die gleiche Anzahl an Roadkills gemeldet zu haben, und nur 4 % waren der Meinung, mehr Roadkills als zuvor gemeldet zu haben.
Auf die Frage, ob sich an der Art und Weise, wie sich die Befragten auf den Straßen bewegen, etwas geändert hat, gaben mehr als zwei Drittel (69 %) an, dass sich die Häufigkeit, mit der sie sich auf den Straßen bewegen, geändert hat, gegenüber 31 %, die angaben, dass sie sich mit derselben Häufigkeit wie zuvor bewegen. Darüber hinaus gab mehr als die Hälfte der Befragten (55 %) an, dass sich die Länge ihrer Wege verändert hat, während 45 % angaben, dass sich die Länge ihrer Wege überhaupt nicht verändert hat. Die Routen haben sich jedoch für die meisten Befragten (75 %) nicht geändert, ebenso wenig wie die Art der benutzten Straßen (77 %). Auch die Art der Verkehrsmittel, mit denen sie sich auf den Straßen fortbewegten, änderte sich für die meisten Befragten nicht (68 %).
Um unsere Hypothese zu testen, dass der Rückgang der Meldungen von Roadkills auf ein verändertes Mobilitätsverhalten unserer Teilnehmer*innen zurückzuführen ist, verglichen wir die Antworten der Befragten, bei denen sich die Häufigkeit ihrer Fahrten, die Länge der Strecke, die Art der Straße oder die Art des benutzten Verkehrsmittels nicht verändert hatten, mit den Antworten jener Menschen, bei denen sich das Mobilitätsverhalten aufgrund der Ausgangssperre in irgendeinem Punkt geändert hatte. Hier fanden wir keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen, d.h. beide Gruppen gaben mehrheitlich an, gefühlt weniger Roadkills gemeldet zu haben.
Weitere Analysen ergaben, dass die Faktoren Verringerung der Länge der auf Straßen zurückgelegten Strecken und die Verringerung der Häufigkeit, mit der die Menschen unterwegs waren die einzigen Faktoren waren, die die Anzahl der von den Teilnehmern gemeldeten Roadkills beeinflussten. Die Befragten, die schätzten, dass sie mehr Roadkills als früher gemeldet haben, gaben überwiegend an, dass sie entweder längere Strecken zurückgelegt haben oder dass sich die Länge ihrer Strecken überhaupt nicht verändert hat bzw. dass sie öfter unterwegs waren. Allerdings gaben insgesamt nur 3 Befragte an, mehr Roadkills als vor dem Lockdown gemeldet zu haben.
Die Antworten zeigen, dass sich die Routen, die Art der benutzten Straßen und die Art der benutzten Verkehrsmittel für die Mehrheit der Befragten nicht geändert haben. Alle drei Fragen zu diesen potenziellen Auswirkungen der Ausgangsbeschränkungen wurden mit mindestens einer Zweidrittelmehrheit negativ beantwortet. Folglich konnten wir auch keinen signifikanten Einfluss dieser Aspekte auf die geschätzte Zahl der gemeldeten Roadkills feststellen. Darüber hinaus haben die Personen, die der Meinung waren, mehr Roadkills gemeldet zu haben als vor dem Lockdown, keine Änderung der Routen, der benutzten Straßen oder des Verkehrsmittels festgestellt.
COVID-19 hat sich eindeutig auf das Projekt Roadkill und seine Teilnehmer*innen ausgewirkt. Die Zahl der gemeldeten Roadkills im Jahr 2020 ist während der Lockdownwochen im Vergleich zur durchschnittlichen Zahl der gemeldeten Roadkills in den Jahren 2016-2019 deutlich gesunken. In den vergangenen Jahren gab es im Frühjahr zwei Spitzenwerte, in denen viele Roadkills gemeldet wurden. Im Jahr 2020 war die erste Spitze weniger stark ausgeprägt, und die zweite Spitze fehlte ganz. Hierfür sind zwei Erklärungen möglich, wobei die zweite unserer Meinung nach wahrscheinlicher ist. Erstens wurden durch die Lockdown-Maßnahmen Daten vor allem von jenen Tieren, die nach dem Winterschlaf im zeitigen Frühjahr aktiv werden, wie z.B. viele Amphibien oder Säugetiere (z. B. Igel), aufgrund der reduzierten Aktivitäten unserer Citizen Scientists nicht gemeldet. Zweitens deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass die Zahl der getöteten Tiere aufgrund des geringeren Fahrzeugaufkommens auf den Straßen während des Lockdowns insgesamt zurückgegangen sein könnte. Darüber hinaus scheinen Nutzungshäufigkeit und Länge der zurückgelegten Strecken die Hauptfaktoren für einen Rückgang der Roadkillmeldungen zu sein. Wir konnten auch feststellen, dass die Mehrheit der Befragten weniger Roadkills als sonst gesehen hat. Die Untersuchung zeigt die Dualität des Projekts Roadkill. Wenn weniger Projektteilnehmer*innen auf den Straßen unterwegs sind und dies repräsentativ für die Gesellschaft ist, verringern sich einerseits die Meldungen im Projekt, andererseits aber auch die negativen Auswirkungen des Straßenverkehrs auf Wirbeltiere.
Unsere Studie weist darauf hin, dass künftige Datenanalysen auf der Grundlage von Citizen Science-Projekten das möglicherweise veränderte Meldeverhalten von Citizen Scientists während der COVID-Pandemie berücksichtigen sollten, um falsche ökologische Schlussfolgerungen zu vermeiden.
Die gesamte Studie kann auch gratis auf der Seite von PeerJ heruntergeladen werden:
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