Sehr vereinfacht gesagt, werden in Citizen Science wissenschaftliche Projekte unter Mithilfe oder komplett von interessierten Amateur*innen [lat. amator “Liebhaber”] durchgeführt. Die Citizen Scientists formulieren dabei Forschungsfragen, melden Beobachtungen, führen Messungen durch, werten Daten aus und/oder verfassen Publikationen. Die Einhaltung wissenschaftlicher Kriterien ist Voraussetzung. Projekte werden dabei in allen Wissenschaftsdisziplinen durchgeführt, von den Naturwissenschaften, über Geisteswissenschaften und Sozialwissenschaften bis zu den Kunst-und Kulturwissenschaften.Dies ermöglicht nicht nur neue wissenschaftliche Projekte und neue Erkenntnisse, sondern ermöglicht auch einen Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, wie er sonst nicht oder nur sehr schwer möglich ist.
Genauer betrachtet wird Citizen Science derzeit noch nicht einheitlich definiert. Dies zeigte sich bereits Mitte der 1990er Jahre, als Alan Irwin (UK) und Rick Bonney (USA) unabhängig voneinander diesen Ausdruck verwendeten und jeweils für sich selbst prägten.
Für Alan Irwin bedeutet Citizen Science die Entwicklung einer Wissensgesellschaft, in der sich Wissenschaft und Forschungspolitik gegenüber der Gesellschaft zu öffnen. Irwin wollte damit festhalten, dass die Wissenschaft den Bedürfnissen der Gesellschaft nicht gleichgültig gegenüber stehen darf, und dass auch Bürger*innen selbst solide Wissenschaft betreiben können.
Rick Bonney definierte Citizen Science als die Beteiligung von Amateur*innen in wissenschaftlichen Projekten zum Zweck der Datensammlung (Crowdsourcing).
Diese beiden Strömungen sind auch heute noch vorhanden. Ein Forschungsartikel von 2017 versucht die weltweite Diskussion zu verschiedenen Terminologien in Citizen Science-Projekten und Initiativen abzubilden. Hier haben wir dazu einen Blogeintrag geschrieben. Darüber hinaus entspann sich auch eine Diskussion zu Definition von Citizen Science selbst, die, ausgehend von einem Artikel aus Österreich, eine eingehende internationale Untersuchung zur Vielfältigkeit von Citizen Science nach sich zog.
Da diese Diskussion sehr breit geführt wird und sicher noch länger anhalten wird, haben wir für die Plattform Österreich forscht eine Arbeitsgruppe für Qualitätskriterien eingerichtet, welche Kriterien entwickelt hat, die auf der Seite der Arbeitsgruppe einsehbar sind. Die entwickelten Kriterien sichern und erhöhen einerseits die Qualität der Citizen Science Projekte auf der Plattform und bieten den Bürger*innen andererseits die Gewissheit, dass alle auf Österreich forscht gelisteten Projekte nach objektiven und nachvollziehbaren Qualitätskriterien durchgeführt werden.
Einen kurzen Überblick zu unterschiedlichen Konzepten in Österreich bieten wir am Ende dieses Beitrages mit einer Videoreihe, die während der Österreichischen Citizen Science Konferenz 2017 entstand. Im Anschluss finden Sie unterschiedliche Beteiligungsformen in Citizen Science Projekten nach Muki Haklay bzw. dem White Paper on Citizen Science von Sanz und Kolleg*innen.
Das White Paper, das aus dem Projekt "Socientize" hervorgegangen ist, unterscheidet, im Gegensatz zur oben erwähnten Klassifizierung durch Haklay (2013), mehrere gleichberechtigte Formen der Beteiligung von Amateur*innen in wissenschaftlichen Projekten. Im Bereich Collective Intelligence geht es vor allem um Mustererkennung. Die oben erwähnten Projekte von Zooniverse fallen unter diese Kategorie.
Beim Pooling of Resources geht es vor allem darum, dass interessierte Personen Ressourcen wie z. B. ungenutzte Rechenleistung ihrer Smartphones oder Computer zur Verfügung stellen. Diese wird dann genutzt, um komplizierte Rechenvorgänge verteilt auf tausende Geräte in kurzer Zeit durchführen zu können. Hier wäre wieder das bereits oben erwähnte Projekt seti@home zu nennen.
In Data Collection - Projekten sammeln Amateur*innen Daten und stellen diese den Projektleiter*innen in unterschiedlicher Form zur Verfügung. Gute Beispiele aus Österreich für Projekte aus dieser Kategorie wären z. B. das Projekt StadtWildTiere oder auch ornitho.at. Dies ist zur Zeit eine der am weitesten verbreiteten Methoden der Beteiligung.
Beim Analysis Task sind Amateur*innen vor allem auch in der Analyse, also der Auswertung der Daten, in unterschiedlicher Intensität beteiligt. Stadt Land Kind beispielsweise analysierte und interpretierte Bilder zu Sehnsuchtsbildern vom Land des Volkskundemuseums Wien gemeinsam mit den Citizen Scientists in intergenerativen Bildgesprächen und Fotoexpeditionen.
Im Bereich Serious Games gab es in den letzten Jahren eine große Entwicklung. Bei diesem Konzept, das auch unter dem Begriff Gamification bekannt ist, tragen die Teilnehmer*innen durch aktives Spielen, das meist aus dem Lösen kniffliger Probleme oder dem Erkennen von Mustern besteht, zu den wissenschaftlichen Projekten bei. Einerseits können durch die Analyse der Lösungswege bessere Algorithmen entwickelt werden, andererseits können auf diese Weise auch direkt Daten erhoben werden. Ein bekanntes internationales Beispiel für solche Projekte wäre das Projekt Fotoquest Go, bei dem die Teilnehmenden wie bei Pokemon Go zu bestimmten Orten in ganz Österreich geschickt wurden, um die Landnutzung an diesen Orten zu dokumentieren.
Bei den Participatory Experiments sind die Teilnehmer*innen bereits in der Entwicklung der Fragestellung und in weiteren Projektphasen eingebunden. Oft sind diese Projekte lokal begrenzt oder richten sich an klar definierte Zielgruppen. Beim Projekt Roadkill sind die Bürger*innen beispielsweise im gesamten Projektverlauf miteingebunden, d.h. sie können Forschungsfragen mitdefinieren, Daten sammeln und interpretieren, selbst Analysen durchführen und auch Publikationen mitverfassen..
Grassroots Activities sind vor allem in der DIY (Do It Yourself)-Bewegung zu finden. Sie werden oft von Gemeinschaften oder Vereinen getragen, haben oft auch eine soziale Komponente und können auch gänzlich von Amateur*innen durchgeführt und getragen werden. Das Projekt Safecast aus Japan hat in diesem Bereich aus international für Aufsehen gesorgt.
Hier werden meist mehrere Ebenen der Beteiligung an professioneller Wissenschaft durch sogenannte Amateur*innen unterschieden. Im Unterschied zur vorigen Einteilung nach dem White Paper on Citizen Science, entsteht durch die verschiedenen Ebenen eine mitunter ungewollte Hierarchie und damit eine Wertung der Beteiligungsformen.
Die einfachste Beteiligung ist auf Ebene 1 "Crowdsourcing" zu finden, hier tragen Bürger*innen Sensoren, welche Daten an professionelle Wissenschafter*innen senden oder sie stellen überhaupt einfach nur die Rechenleistung ihres Computers oder Smartphones zur Verfügung. Kognitive Leistung müssen die Teilnehmer*innen in solchen Projekten keine erbringen. Ein Beispiel hierfür ist seti@home.
Auf Ebene 2 "Verteilte Intelligenz" werden Teilnehmer*innen schon mehr gefordert. Hier werden Teilnehmer*innen vor allem vor simple Aufgaben gestellt, die Computer noch nicht ausführen können und deshalb sehr viel Zeit beanspruchen würden, wenn Wissenschaftler*innen sie alleine durchführen müssten, wie zum Beispiel Fotos von Fotofallen auswerten. Projekte, die in diese Kategorie fallen sind sind z. B. die Projekte auf Zooniverse.
Ebene 3 "Partizipative Wissenschaft" meint die Einbindung der Bevölkerung schon bei der Entwicklung der Frage- oder Problemstellung und/oder der Datensammlung. Amateur*innen nehmen Umweltveränderung in ihrer Umgebung sehr schnell wahr und können diese Daten durch Citizen Science Projekte an Wissenschaftler*innen weitergeben, wo sie entsprechend aufbereitet und veröffentlicht werden, oder nach der Analyse und Interpretation an zuständige Behörden weitergegeben werden. So kann eine Zusammenarbeit in einem Citizen Science Projekt zu einer raschen Lösung eines Problems oder zur effizienten Erkennung einer Veränderung in der Öffentlichkeit beitragen. Beispiele wären Tier- oder Pflanzenarten zu bestimmen (Projekt Roadkill, naturbeobachtung.at), Genealogie zu betreiben (GenTeam) oder zur Geschichtsforschung beizutragen (Topothek).
Ebene 4 wird als "Extreme Citizen Science" bezeichnet, da hier Amateuer*innen in alle Schritte von der Problemstellung, über die Datensammlung bis zur Analyse eingebunden werden. Beispiele gibt es wenige, doch findet man sie vor allem in der Astronomie oder der Vogelkunde, da diese Bereiche eine lange Tradition der Bürgerforschung besitzen.
Citizen Science wird oft als Rückkehr der professionellen Wissenschaft zu ihren Wurzeln interpretiert, da Wissenschaft zu Beginn von Amateur*innen betrieben und erst später akademisiert und an den Universitäten institutionalisiert wurde. Unter dem Begriff Citizen Science “dürfen” nun Amateur*innen wieder Wissenschaft betreiben – sozusagen "back to the roots" (Silvertown 2009; Finke 2014; Bonney et al 2014). Dem ist entgegenzuhalten, dass zwar die wissenschaftliche Forschung erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch das Humboldtsche Bildungsideal in die Universitäten integriert wurde, aber Menschen ohne höheren Bildungsgrad konnten bis dahin auch nur in den äußersten Ausnahmefällen Wissenschaft betreiben, geschweige denn Ergebnisse veröffentlichen. Kein Landwirt oder Handwerker hatte Zeit und Geld um sich der Wissenschaft zu widmen. In Zusammenhang mit Citizen Science wird oft Charles Darwin als bekanntester Amateur beschrieben, der Wissenschaft betrieben hat (z. B. Silvertown, 2009). Darwin besuchte aus Interesse im Rahmen seines Medizin- und späteren Theologiestudiums auch Vorlesungen zur Botanik, Zoologie und Geologie. Als Darwin seine berühmte Reise auf der HMS Beagle antrat, wurde er als naturwissenschaftlich ausgebildeter Begleiter angestellt, obwohl er formal eigentlich Theologe war (Engels 2007). Somit kann man Darwin als Amateur mit umfangreichem biologischen Wissen bezeichnen.
Erst durch die Kombination aus Citizen Science, Web 2.0 und der Open Access Bewegung ist es nun deutlich mehr Menschen möglich, an Wissenschaft teilzunehmen, als den wenigen äußerst Privilegierten zu Darwins Zeit; sie sammeln, analysieren selbstständig und publizieren sogar (z. B. Kalheber, 2003).
Auch in Österreich hat die Zusammenarbeit der Wissenschaft mit der Bevölkerung eine lange Tradition. Im Buch "Populäres Wissen – Von der Laienforschung des 19. Jahrhunderts zur heutigen Citizen Science - eine Annäherung" (2023) wurde auf Initiative von Österreich forscht und unter der Anleitung durch den Herausgeber Dr. Christian Stifter von 29 Autor*innen verschiedenster österreichischer Institutionen, darunter Vereine, Universitäten, Behörden und Museen die Geschichte der Citizen Science in Österreich vom 19. Jhdt. bis heute aufgearbeitet. Da diese Geschichte der "Laienforschung" in Österreich so unglaublich vielfältig ist, können auch die 17 Kapitel nur eine Annäherung darstellen. Auf Österreich forscht gibt es auch eine kleine Rezension dazu.
Die folgenden Videos wurden während der Österreichischen Citizen Science Konferenz 2017 erstellt. Obwohl diese Videos bereits einige Jahre alt sind, geben sie trotzdem einen guten ersten Einblick in Citizen Science.
Mehr Informationen zu Citizen Science in Österreich und anderen Ländern finden Sie unter der Rubrik Weltweit.