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Citizen Science im Kontext: Verortung im Open Innovation in Science Framework

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Der Prozess der wissenschaftlichen Forschung nähert sich einem Wendepunkt. Immer lauter werden Rufe von Wissenschaftler*innen und Entscheidungsträger*innen, offene und kollaborative Formen der wissenschaftlichen Forschung zu ermöglichen und deren Ergebnisse offen zu teilen.

Hintergrund dieser Diskussion ist vielfach die Erkenntnis von verschiedenen Akteuren aus der Wissenschaft, der Politik und der Industrie, dass die großen Herausforderungen unserer Zeit nur mit dem diversen Wissen von Personen aus unterschiedlichen Anspruchsgruppen angegangen werden können. Dieses Bestreben nach mehr Offenheit in der Wissenschaft führt derweilen zu einer Vielzahl von Begriffen, die hinreichend Verwirrung stiften und die Gefahr der "Silo-Forschung" in sich bergen - also dem fehlenden Austausch der Erkenntnisse über feldspezifische Grenzen hinweg. Einige Beispiele für solche Begriffe sind Open Science, Open Innovation, Responsible Research and Innovation, Open Access, Team Science, Third Mission, Triple oder gar Quadruple Helix, translationale Forschung, oder inter- und transdisziplinäre Forschung.

In dem Bestreben diese Begriffe und die Phänomene, die sie umfassen, unter einen Hut zu bekommen, haben Marion Poetz und ihr Team vom LBG OIS Center ein einzigartiges Experiment initiiert: sie haben 47 Wissenschaftler*innen aus den Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften zusammengebracht, um von Grund auf eine neuartige und integrative Konzeptualisierung eines umfassenden Forschungs-Frameworks zu entwickeln: das Open Innovation in Science (OIS) Framework:

Formal wird Open Innovation in Science als ein Prozess definiert, bei dem eingehende, ausgehende und gekoppelte Wissensflüsse sowie (inter- / transdisziplinäre) Kollaborationen über Organisationen und disziplinäre Grenzen hinweg und entlang aller Phasen des wissenschaftlichen Forschungsprozesses zielgerichtet ermöglicht, initiiert und verwaltet werden. Anders ausgedrückt, umfasst OIS sämtliche offenen und kollaborativen Forschungspraktiken - von der Generierung der Ideen und der Problemformulierung, zur Konzipierung und Umsetzung des Forschungsdesigns bis hin zur Disseminierung der Ergebnisse. Solche Praktiken umfassen beispielsweise auch Citizen Science Projekte.

Als zentraler Bestandteil des OIS Frameworks werden dabei die verschiedenen Voraussetzungen (also Treiber und Hindernisse), Bedingungen, sowie potentielle Konsequenzen berücksichtigt, deren Erforschung noch in den Kinderschuhen steckt: so fragen die Forscher*innen beispielsweise wann und unter welchen Bedingungen offene und kollaborative Prozesse und Praktiken einem traditionellen Forschungsprozess überlegen sind. Oder: wie müssen offene und kollaborativen Prozesse aufgesetzt werden, damit alle Teilnehmer*innen auf Augenhöhe miteinander arbeiten können? 

Aufbauend auf dem Open Innovation in Science (OIS) Framework verfassten die Forscher*innen gemeinsam in einem ebenfalls kollaborativen Prozess einen wissenschaftlichen Aufsatz im Fachjournal Industry and Innovation. In dem Artikel veranschaulichen die Koautoren verschiedene OIS-Praktiken, an denen Akteure aus Öffentlichkeit, Industrie und Politik beteiligt sind und wie sie in den verschiedenen Disziplinen praktiziert werden. Anschließend erläutern und synthetisieren sie Faktoren auf Individual-, Team-, Organisations-, Feld- und Gesellschaftsebene, welche die Planung und Umsetzung der OIS-Praktiken beeinflussen. Was folgt, ist eine Diskussion über die Ergebnisse aus verschiedenen Perspektiven, sowie die gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Auswirkungen offener und kollaborativer Praktiken in allen Phasen des wissenschaftlichen Forschungsprozesses. Schließlich zeigen sie die Wechselbeziehung zwischen den verschiedenen Faktoren, Komplementaritäten, aber auch Spannungen und Konflikte auf, welche mit der Öffnung des Forschungsprozesses einhergehen, wobei sie zu weiterer Forschung aufrufen, um ein gemeinsames, fundiertes Verständnis voranzutreiben.

Wichtig ist, dass Open Innovation in Science Offenheit und kollaborative Zusammenarbeit in der Wissenschaft nicht als Selbstzweck betrachtet. Vielmehr werden offene und kollaborative Praktiken als potenziell wirksame Mechanismen für nauartige und effizientere wissenschaftliche Forschung gesehen, welche letztlich mehr Impact in der Wissenschaft und der Gesellschaft erzielen kann.

Der Prozess, durch welchen dieser Artikel entstanden ist, birgt selbst ein Novum in sich, da er unterschiedlichste Erfahrungen, Forschungsansätze und Konzepte von Forscher*innen aus unterschiedlichen Disziplinen in sich vereint. Dabei folgten die 47 Autoren von 37 Forschungseinrichtungen aus 13 Ländern ihrem eigenen Framework und teilten Entscheidungsrechte auf Augenhöhe: „Wir haben von Anfang an auf einen vollständig kollaborativen Konzeptualisierungs- und Schreibprozess gesetzt, der im Rahmen der alljährlichen OIS Forschungskonferenz 2019 in Wien begann und mit iterativen Runden von Offline- und Online-Diskussionen, des Schreibens und der Bearbeitung fortgesetzt wurde", sagt Marion Poetz, Professorin an der Copenhagen Business School und wissenschaftliche Leiterin des OIS Centers an der Ludwig Boltzmann Gesellschaft. 


Vollständige Referenz des Artikels: 

Beck, S., Bergenholtz, C., Bogers, M., Brasseur, T.-M., Conradsen, M. L., Di Marco, D., Distel, A. P. Dobusch, L., Dörler, D., Effert, A., Fecher, B., Filiou, D., Frederiksen, L., Gillier, T., Grimpe, C., Gruber, M., Haeussler, C., Heigl, F., Hoisl, K., Hyslop, K., Kokshagina, O., LaFlamme, M., Lawson, C., Lifshitz-Assaf, H., Lukas, W., Nordberg, M., Norn, M. T., Poetz, M. K., Ponti, M., Pruschak, G., Pujol Priego, L., Radziwon, A., Rafner, J., Romanova, G., Ruser, A., Sauermann, H., Shah, S. K., Sherson, J. F., Suess-Reyes, J., Tucci, C. L., Tuertscher, P., Vedel, J. B., Velden,T., Verganti, R., Wareham, J., Wiggins, A., and Xu, S. M. (2020). The Open Innovation in Science research field: a collaborative conceptualisation approach. Industry and Innovation, 1-50. Der vollständige Artikel ist hier verfügbar. 

Einladung zur Citizen Science Vortragsreihe
Kurzvorstellung: SPOTTERON - die Citizen Science A...

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Kommentare 3

Florian Heigl am Mittwoch, 02. September 2020 13:32

Ein sehr spannender Ansatz wie ich selbst erleben durfte. Wie können sich Personen außerhalb der Wissenschaft vorstellen, dass 47 Menschen an einem Artikel schreiben? Klingt ja auf den ersten Blick nach einem großen Chaos.

Ein sehr spannender Ansatz wie ich selbst erleben durfte. Wie können sich Personen außerhalb der Wissenschaft vorstellen, dass 47 Menschen an einem Artikel schreiben? Klingt ja auf den ersten Blick nach einem großen Chaos.
Susanne Beck am Mittwoch, 09. September 2020 17:11

Sehr guter Punkt, Florian! Retrospektiv würde ich sagen, dass es das große Interesse und die Leidenschaft für das Thema waren, was dazu geführt hat, dass dieses Experiment so erfolgreich war. Alle beteiligten WissenschaftlerInnen haben nicht nur fachliche Expertise im Hinblick auf offene und kollaborative Prozesse mitgebracht, sondern auch individuelle Erfahrungen aus eigenen Forschungsprojekten. Eine der zentralen Herausforderungen war es jedoch, eine gemeinsame "Sprache" zu finden, sodass wir diese Expertise und Erfahrungen von den NaturwissenschaflerInnen mit denen der HumanwissenschaftlerInnen und SozialwissenschaftlerInnen "unter einen Hut" bringen konnten. Sehr hilfreich war dabei, dass wir einen mehrstufigen Prozess hatten - um genau zu sein 22 Stufen - , um diesen Wissensaustausch möglich zu machen. Aber ohne das anhaltend aktive Engagement, die Offenheit für andere Sichtweisen und Perspektiven, die Neugierde und Bereitschaft neue Prozesse auszuprobieren und das aktive Zuhören der Co-AutorInnen, hätte es nicht geklappt.

Sehr guter Punkt, Florian! Retrospektiv würde ich sagen, dass es das große Interesse und die Leidenschaft für das Thema waren, was dazu geführt hat, dass dieses Experiment so erfolgreich war. Alle beteiligten WissenschaftlerInnen haben nicht nur fachliche Expertise im Hinblick auf offene und kollaborative Prozesse mitgebracht, sondern auch individuelle Erfahrungen aus eigenen Forschungsprojekten. Eine der zentralen Herausforderungen war es jedoch, eine gemeinsame "Sprache" zu finden, sodass wir diese Expertise und Erfahrungen von den NaturwissenschaflerInnen mit denen der HumanwissenschaftlerInnen und SozialwissenschaftlerInnen "unter einen Hut" bringen konnten. Sehr hilfreich war dabei, dass wir einen mehrstufigen Prozess hatten - um genau zu sein 22 Stufen ;) - , um diesen Wissensaustausch möglich zu machen. Aber ohne das anhaltend aktive Engagement, die Offenheit für andere Sichtweisen und Perspektiven, die Neugierde und Bereitschaft neue Prozesse auszuprobieren und das aktive Zuhören der Co-AutorInnen, hätte es nicht geklappt.
Florian Heigl am Donnerstag, 10. September 2020 08:35

Vielen Dank Susanne für deine ausführliche Antwort. Ich bin mir sicher, dass es für viele, die nicht direkt in der Wissenschaft arbeiten, fast unvorstellbar ist, mit so vielen unterschiedlichen Menschen an einem Manuskript zu schreiben. Aber dein Kommentar beschreibt es als eine zwar herausfordernde aber schöne Erfahrung. Dann hoffen wir, dass es in Zukunft noch mehr solche Disziplinen- und Grenzenübergreifende Zusammenarbeiten geben wird!

Vielen Dank Susanne für deine ausführliche Antwort. Ich bin mir sicher, dass es für viele, die nicht direkt in der Wissenschaft arbeiten, fast unvorstellbar ist, mit so vielen unterschiedlichen Menschen an einem Manuskript zu schreiben. Aber dein Kommentar beschreibt es als eine zwar herausfordernde aber schöne Erfahrung. Dann hoffen wir, dass es in Zukunft noch mehr solche Disziplinen- und Grenzenübergreifende Zusammenarbeiten geben wird!
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