Die Veranstaltung am 23. November 2021 wurde im Zuge des Wissenstransferzentrum Ost (WTZ Ost) und in Kooperation mit Austria in Space (gefördert durch das Bundesministerium Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie) organisiert und trägt den Titel „Copernicus: Europas Satellitendaten für die eigene Klimaforschung einsetzen". Darin wurde das europäische Erdbeobachtungsprogramm Copernicus vorgestellt, welches mithilfe der Sentinel-Satelliten weltweit und rund um die Uhr zahlreiche Daten über unsere Umwelt und Sicherheit sammelt und diese offen zur Verfügung stellt. Das Event gliederte sich in zwei Teile. Im ersten Teil, dem Webinar, gaben eine Reihe von Vortragenden einen Einblick in Copernicus und die breiten Anwendungsmöglichkeiten dieses Erdbeobachtungsprogramms. Beispielhaft wurde die Verwendung von Copernicusdaten in der Polarforschung, dem Wassermonitoring, der Vegetationsanalyse sowie der Landwirtschaft aufgezeigt. Die fachlich breite Aufstellung der Vortragenden verdeutlicht außerdem, dass die Expertise zu Copernicus in Österreich sehr groß ist und alle Vortragenden offen für neue Kollaborationen sind. Im zweiten Teil, dem Workshop, konnten Teilnehmer*innen das von der Universität Salzburg entwickelte Tool sen2Cube.at ausprobieren, das die Bildanalyse der Satellitendaten in benutzerbestimmten Regionen und Intervallen unterstützt. Das gesamte Webinar ist auf unserem YouTube-Kanal nachzusehen. Die Präsentationen finden Sie auf unserem Open Science Framework. Eine detaillierte Beschreibung des Webinars finden Sie im Anschluss.
Insgesamt nahmen 61 Personen am Webinar und 15 Personen am Workshop teil. Vortragende waren Mag. Christian Fuchs (Bundesministerium Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie), Dr. Edward Comyn-Platt (Europäisches Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage), Dr. Thomas Nagler (ENVEO), Prof. Wouter Dorigo (Technische Universität Wien), Dr. Markus Immitzer (Universität für Bodenkultur Wien) und Dr. Martin Sudmanns (Paris Lodron Universität Salzburg). Dr. Lisa Recnik und Astrid Neumann, M.Sc. führten durch das Webinar. Nach einer kurzen Vorstellung des WTZ Ost und der Veranstaltung ging es direkt über zu den Vortragenden.
Webinar
Vorstellung des Copernicus Programms – Christian Fuchs
Copernicus wurde 2008 von der Europäischen Union ins Leben gerufen und ist nachhaltig finanziert. Essenzielle Klimavariablen können über Copernicus abgerufen und vielfältig angewandt werden. Die Daten werden von sechs Satelliten-Familien erhoben, die mit verschiedenen Sensoren ausgerüstet sind. Außerdem vernetzt Copernicus die erhobenen Satellitendaten mit lokalen Daten und stellt zahlreiche Servicekomponenten für Behörden oder Unternehmen bereit. Dabei werden alle Daten und Tools kostenlos zur Verfügung gestellt. Insgesamt sind sechs Services in Copernicus enthalten mit über 2000 unterschiedlichen Informationspaketen. So liefert zum Beispiel das Service „Land Monitoring" Informationen zum Vegetationsstatus, zur Landbedeckung und dem Humusgehalt sowie zur Veränderung durch Bewirtschaftung, Luftverschmutzung, Brandmonitoring u.v.m. Copernicus wird laufend weiterentwickelt: so werden in Zukunft weiterhin neue Missionen gestartet und die Services an die Nutzer*innen und ihre Bedürfnisses angepasst.
Das Copernicus Climate Change Service und der Climate Data Store – Edward Comyn-Platt
Das Copernicus Climate Change Service (C3S) ist eines der sechs thematischen Services im Rahmen von Copernicus und ermöglicht freien Zugriff auf Daten, um Anpassungsstrategien in verschiedenen Bereichen zu unterstützen. Zwei Beispiele dafür sind das Moskitomonitoring im Gesundheitsbereich oder die Länge der Skisaison im Tourismus. Der dafür eingerichtete Climate Data Store (CDS) ermöglicht einen einfachen Zugriff auf diese Daten und stellt Onlinetools zur Verfügung, um die Daten weiter zu verarbeiten. Diese Werkzeuge ermöglichen reproduzierbare Ergebnisse und verkürzen die Zeit, die für die Datenverarbeitung aufgewendet wird. Im Rahmen des C3S werden einerseits historische wie auch aktuelle Wettermessungen, aber auch Klimaanalysen und saisonale Vorhersagen gesammelt. Außerdem sind auch Projektionen verfügbar, die verschiedene Szenarios für den zukünftigen Klimawandel berücksichtigen. Der CDS bietet als verteiltes System Zugang zu Daten durch Webinterfaces. Diese Daten sind interoperabel, also mit anderen Daten aus anderen Quellen gemeinsam verwendbar. Die Datensätze können durch wenige Klicks heruntergeladen werden und mit offen verfügbaren API-Skripten (basierend auf Python) automatisch eingebunden werden. Im Toolbox Editor kann online mit den Datensätzen gearbeitet werden und Karten zu bestimmten Themen (Moskitoverbreitung, Hitzetage, etc.) erstellt werden. Der CDS ist sowohl für Expert*innen als auch für Laien konzipiert und so zählt der CDS schon über 100.000 Nutzer*innen.
Monitoring der polaren Eisschilde mit Sentinel-Satelliten – Thomas Nagler
Die Firma ENVEO beobachtet unter anderem die Polargegenden mit Copernicus Daten um die Auswirkungen des Klimawandels wie den Rückgang der Eisschilde oder die Steigung des Meeresspiegels sichtbar zu machen. Dazu werden Radardaten der Satelliten verwenden, da diese unabhängig von Tageslicht und Wolkenbedeckung verwendet werden können. Diese Daten erheben die Veränderung der Höhen, die Geschwindigkeit der Eisbewegungen, die Ausdehnung der Eisschilde sowie die Oberflächenschmelze. So können die Eiskappen der Arktis und der Antarktis kontinuierlich beobachtet werden. Seit 2014 werden Karten der jährlichen Eisbewegung erstellt, um die Abflüsse des Eises zu bestimmen. Dabei können aus den Höhenmodellen die Höhenänderungen abgeleitet werden und Ungenauigkeiten in der Geschwindigkeit pixelgenau angegeben werden. All diese Beobachtungen können frei heruntergeladen werden. Vor dem Einsatz der Sentinel-Satelliten konnten saisonale Änderungen in den Polarregionen nicht festgestellt werden. Durch das Monitoring anhand der Copernicusdaten ist ersichtlich geworden, dass sich die Geschwindigkeit der Eisbewegungen im Sommer auf 50 m pro Tag und im Winter auf 25 m pro Tag belaufen. Dabei ist zu beachten, dass selbst geringe Änderungen in der Geschwindigkeit große Auswirkungen auf die Massenbewegung haben. Zusätzlich ist es nun möglich, Vergleiche zwischen verschiedenen Gletschern zu machen, da jeder Gletscher andere Eigenschaften mit sich bringt und daher individuell betrachtet werden muss. Trotzdem ist ein Trend zu einem leichten Anstieg der Geschwindigkeit über alle Gletscher in den Polarregionen hinweg zu beobachten.
Copernicus für Wasserressourcenmonitoring – Wouter Dorigo
Die Bodenfeuchte ändert sich durch Zunahme der Extremereignisse wie Hitze und Dürre und dies hat eine direkte Auswirkung auf unsere Grundversorgung durch Nahrungsmittel. Die Beobachtung der Bodenfeuchte durch Mikrowellensatelliten dient zur Erstellung von operationellen Langzeitdatensätzen. Diese Mikrowellendaten geben auch einen Rückschluss auf die Vegetationsdichte, da auch Pflanzen Feuchtigkeit abspeichern. Dabei werden diese erhobenen Daten auch in das CDS eingespeist und für den „European State of the Climate Report" verwendet. Diese Datensätze geben Auskunft über die Auswirkung auf die Landwirtschaft (z. B. Ertragsverlustschätzungen) oder helfen bei der Abschätzung von Wassermengen, die für die Bewässerung nötig ist. Abseits der Landwirtschaft ist die Analyse der Bodenfeuchte auch für Vorhersagen von Waldbränden nützlich. Die Daten der Bodenfeuchte sind relativ grob aufgelöst (25 km²) und somit nicht präzise genug für individuelle landwirtschaftliche Flächen. Durch „downscalen" kann derzeit in Europa jedoch eine Auflösung von 1 km² erreicht werden. Natürlich stehen auch diese Datensätze frei zur Verfügung.
Copernicus Daten für Vegetationsanalysen – Markus Immitzer
Für Vegetationsanalysen werden optische Sensoren benötigt, die Datensätze in unterschiedlichen Auflösungen liefern. 13 Spektralkanäle werden erstellt, um möglichst vielfältige Informationen über die Vegetation zu erhalten. Die vorgestellten Forschungsschwerpunkte sind Vegetationsanalysen im Bereich Landbedeckung und Landnutzung, Ernte- und Getreideklassifikation sowie Precision Farming. So ergab zum Beispiel eine Landbedeckungsanalyse aus dem Grenzgebiet der Türkei und Syrien, dass nach Ausbruch des Bürgerkriegs zahlreiche landwirtschaftliche Flächen in Syrien aufgelassen wurden. Im Bereich der Ernteklassifikation können Feldfrüchte anhand der Satellitendaten analysiert werden und so Ernteprognosen abgeleitet werden. Auch eine Änderung der Feldfrüchten kann dargestellt werden.Für Precision Farming kann auch ermittelt werden, ob ein Feld gerade Bewässerung braucht und falls ja, wieviel. Dabei wird zusätzlich die Wettervorhersage berücksichtigt. Diese Art der Anwendung ist auch in Österreich wichtig, da auch hier zunehmend Felder nur mit Bewässerung bewirtschaftet werden können. Zusätzlich zur Bewässerung kann auch eruiert werden, welche Fläche Dünger benötigen. Ein anderes Beispiel ist der Biosphärenpark Wienerwald: Dort wurden Baumartenkarten erstellt und durch Verschneidung mit Risikokarten eine Abschätzung der Klimawandelanpassung möglich.
Erkennen von städtischen Grünflächen mit dem österreichischen semantischen Datenwürfel Sen2Cube.at – Martin Sudmanns
Es stehen über 22 Millionen Satellitenbilder zur Verfügung und jeden Tag kommen 3 Terrabyte hinzu. Außerdem sind 70 % der Erde immer wolkenbedeckt, was zu einem Rauschen in den Daten führt. Aufgrund der enormen Datenmenge und des Rauschens in den Daten ist die Analyse aufwändig und kompliziert. Jedes Jahr nutzen mehr und mehr Menschen Copernicus Daten, jedoch ist nicht jede*r erfahren mit Erdbeobachtungen. Die komplizierte Datenstruktur verhindert zusätzlich die Nutzung für die Allgemeinheit. Daher werden sogenannte Datenwürfel entworfen, die die Handhabung der Daten erleichtern. Die Daten werden je nach Abfrage passend organisiert und aus den Satellitenbildern werden automatisch leicht ablesbare Grafiken erstellt. Verschiedene Zugriffsmethoden gewährleisten einen Online-Zugriff auf die Copernicusdaten, wodurch ein langwieriger Datendownload erspart wird. Stattdessen werden die Daten direkt in der Cloud verarbeitet und analysefertig aufbereitet. Meist sind dafür jedoch immer noch Kenntnisse über Erdbeobachtung und Programmieren erforderlich, um sinnvoll mit den Daten arbeiten zu können. Ein semantischer Datenwürfel, wie z.B. der sen2Cube.at der Universität Salzburg, umgeht dieses Problem durch semantische Anreicherung. Das heißt, die aufgenommenen Daten werden direkt in semantische Daten wie nominale Interpretationen oder Kategorien umgewandelt. Beispiele für die Anwendung des sen2cubes sind Vegetationsbeobachtungen ("Wie grün ist Österreich?") oder die Analyse von Grünflächen in Städten. Die Anreicherung funktioniert vollautomatisch basierend auf einem physikalischen Modell. Im Gegensatz zu Machine-Learning-Ansätzen ist daher jeder Schritt nachvollziehbar. Diese Benutzerfreundlichkeit schlägt sich auch in den Zahlen des Datacubes nieder: bisher wurden schon über 10.000 Userabfragen durchgeführt.
Workshop
Im Workshopteil mit Dr. Martin Sudmanns der Paris Lodron Universität Salzburg hatten die Teilnehmer*innen die Möglichkeit den sen2cube selbst auszuprobieren und die Grünflächen im Wiener Volksgarten über mehrere Monate zu analysieren. So konnte aus dem Bildmaterial der Sentinel-Satelliten eine Vegetationskurve über einen bestimmten Zeitraum ermittelt werden. Der Zugang kann über sen2cube.at beantragt werden und ist ebenfalls kostenlos.
Über das Wissenstransferzentrum Ost
Das Wissenstransferzentrum Ost (WTZ Ost) ist ein Zusammenschluss von allen neun Wiener Universitäten und drei Fachhochschulen in Wien und Niederösterreich, der es sich zum Ziel gesetzt hat Wissens- und Technologietransfer in all seinen Dimensionen zu fördern. Dabei liegt der Fokus nicht nur auf dem Austausch von Forschungsergebnissen, Technologien, Erfindungen oder Know-How innerhalb der Hochschulen, sondern auch darauf, diese für unsere Gesellschaft, der Wirtschaft und Politik zugänglicher zu machen. Das WTZ Ost wird durch die aws aus Mitteln der Nationalstiftung für Forschung, Technologie und Entwicklung (Österreich-Fonds) gefördert und ist in vier Kooperationsvorhaben eingeteilt. Im Kooperationsvorhaben „Innovation Matters" liegt der Schwerpunkt auf dem interdisziplinären Wissensaustausch über innovative Forschungsmethoden. In diesem Rahmen haben Mitarbeiter*innen der Universität für Bodenkultur Wien, gemeinsam mit der Ludwig Boltzmann Gesellschaft eine Workshopreihe zu Open Science Tools organisiert. Dabei werden Werkzeuge und Methoden in verschiedenen Disziplinen vorgestellt, die für eine offenere und transparentere Wissenschaft stehen. Bisher wurden vier Workshops zum Thema Gesundheit, Pflege, Wohnen und Bildung angeboten. Am 23. November 2021 fand das fünfte Event zum Thema Klima statt.